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22.08.2007, 13:48 Uhr
Kai
TNS Team
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Ich finde wir sollten noch mal auf den Berg skaten.
Alles weiter von den 11 Freunden.
Stadion Bieberer Berg
Wenn das Flutlicht eingeschaltet wird, sind die Kickers eine Macht, heißt es nicht nur in Offenbach. Das Stadion am Bieberer Berg hat viele Höhen und Tiefen des Vereins miterlebt. Von Tobias Pleitgen
Der Bieberer Berg in Offenbach ist ein magischer Ort. Nicht nur weil es die höchste Erhebung der 117000-Einwohner-Stadt am Main ist, sondern auch weil hier das Stadion der Offenbacher Kickers steht. 26500 Zuschauer fasst das reine Fußballstadion mit seinen zwei Flutlichtmasten, welche schon von weitem zu sehen sind. "Die Flutlichtmasten sind unser Eifelturm", sagen die Offenbacher, und wenn am Freitagabend die Kickers spielen, leuchten sie wie zwei gute Sterne über der Stadt. Selbst so wortgewaltige Fußballer wie William"Jimmy" Hartwig verschlug es beim Anblick des Stadions die Sprache. Die Gefühle, die den jungen Jimmy überkamen, als er als Bub zu seinem ersten OFC-Training marschierte, beschrieb er in seiner Autobiografie "lch möcht' noch so viel tun..." wie folgt: "Als ich oben auf dem Bieberer Berg ankam, war ich völlig aus der Puste. Vor mir lag das große Eingangstor, dahinter das riesige Stadion. Im Hintergrund konnte man Trainingsplätze erkennen. Mir wich mit einem Mal aller Mumm aus den Knochen, ich fühlte mich ungeheuer mickrig angesichts der geballten Glorie der Offenbacher Kickers, die mir hier mit aller Wucht um die Ohren schlug.”
Am 27. Mai 1901 soll auf dem damaligen Exerzierplatz oben auf dem Bieberer Berg das erste Heimspiel der kurz zuvor gegründeten Kickers stattgefunden haben. Doch allzu erfreut waren Bürger wie Militärs nicht über diese "Fußlümmelei", schließlich handelte es sich bei dem Spiel um einen englischen Sport. Ob dieser Widrigkeiten mussten die Kickers zunächst ihre Partien an anderer Stelle austragen, ehe sie 1920 wieder zum Bieberer Berg zurückkehrten, und aus den Gebäuderesten der inzwischen geräumten Kaserne eine Holztribüne zimmerten, auf der 1200 Zuschauer Platz fanden. Die heutige Haupttribüne, die 1960 entstand, hat sich im Charakter gegenüber der alten Holztribüne kaum verändert. Architektonisch ist das Offenbacher Stadion kein Gebäude aus einem Guss - im Gegenteil. Doch gerade das Mosaik der verschiedenen Tribü-nen, die alle aus unterschiedlichen Epochen stammen, macht den Charme aus. Der älteste Teil aus dem Jahre 1952 ist die überdachte Gegengerade: Eine fulminante Betonkonstruktion, unter deren von fünf Pfeilern gehaltenem Dach 10000 Menschen Platz haben, und die heute eine der größten überdachten Stehplatzgeraden in Deutschland ist. "Bei uns stehen Sie im Trockenen", lautete damals der Werbespruch, der den neuen Stadionkomfort pries. Auf der Gegengeraden, im Block zwei auf Höhe der Mittellinie, steht der harte Kern der Kickers-Fans. 1968, zum heiß ersehnten ersten Bundesliga-Aufstieg, wurde die Stahlrohrtribüne hinter dem Schießhaustor errichtet, die schon seit über 20 Jahren wegen Einsturzgefahr gesperrt ist. 1999 geriet die unschuldig vor sich hin schlummernde Stahlrohrtribüne auf unrühmliche Art und Weise in die Schlagzeilen, als sich Anhänger von Waldhof Mannheim als unbestellte Abrissbirnen betätigten, und während des Spiel die morschen Teakholzbal-ken auf die unter ihnen stehenden Offenbacher Zuschauer warfen. Nach den jüngsten Umbaumaßnahmen im Sommer 2005 sind auf der Stahlrohrtribüne nun zwei Container für die Polizei errichtet worden.
Unter den Augen der Gesetzeshüter liegt rechts der Gästeblock, der ob seiner üppigen Gitterstäbe von den Fans sachkundig "Alcatraz" getauft wurde. Die andere Ecke der Stadionseite heißt "Senfkurve", hier stehen die eher gemäßigten Offenbacher Fußballfreunde. Die "Senfkurve" trägt ihren Namen seit einem legendären Zwischenfall in den 80er Jahren, als ein übermäßig pöbelnder Anhänger des FSV Frankfurt erst besänftigt werden konnte, als ihm ein gefüllter Senftopf aus der nahe gelege-nen Imbissbude über den Kopf gestülpt wurde. Gegenüber der "Stahlrohr" ragt eine 3062 Zuschauer fassende Sitzplatztribüne in die Höhe, die 1973 die Kickers-Fans in der eigentlich damals schon unter chronischem Geldmangelleidenden Stadtverordnetenfraktion per Mehrheit durchsetzten. 1,7 Millionen Mark kostete diese Erweiterung, die ursprünglich "Südost"-Tribüne heißen sollte, aber bis heute noch nur "Orion" -Tribüne genannt wird, weil die Werbeschilder jener TV-Firma damals nicht zu übersehen waren. Das Stadion ist lange Zeit ein Biotop für Freunde der Stadionkultur gewesen. Besucher konnten sich problemlos, wo sie wollten, ein Plätzchen im Stadion suchen und von dort die Partie verfolgen. Besonders in den bitteren Oberligazeiten Mitte der 90er, als der Bieberer Berg mehr oder weniger in den Händen der Fans lag, wurde ein Besuch trotz sportlicher Magerkost zum Erlebnis, als Unmengen von Bengalos gezündet wurden und die Zuschauerränge oft rot wie Lava leuchteten.
In der Saison 93/94 war Zweitligist SV Meppen im DFB-Pokal von einem der berüchtigten Vulkanausbrüche "uff'm Bersch" überrascht worden. Mit 2:0 führte der Gast souverän bis zur 85. Minute, ehe den Kickers der Anschlusstreffer gelang. Ein legen-därer Sturmlauf folgte, in dem alle Meppener, inklusive Torhüter Kubik, die Nerven verloren. Ein Rückpass von der Mittellinie in der Nachspielzeit schoss Kulik dem nachrückenden OFC-Vor-stopper Günter Albert so unglücklich an den Hintern, dass der Abpraller über den Keeper schwebte und aus 20 Metern langsam auf den Innenpfosten zukullerte. Das Stadion schrie anschließend wie am Spieß, die Zeit blieb stehen, ehe der Ball nach einer Ewigkeit vom Pfosten über die Linie tropfte. Eine minutenlange Explosion folgte. Wie eine Herde Delfine hüpften die Zuschauer durcheinander, Familienväter entrissen ihren Söhnen die OFC--Fahnen und rannten völlig enthemmt durch das Stadion, Hüte wurden in die Luft geschleudert. "Als das Tor fiel, stand ich auf der Gegengerade noch oben unterm Dach", erinnert sich heute noch Henry Klaere an einen der unglaublichsten Momente auf dem Bieberer Berg, "in dem minutenlangen Taumel hatte ich erst unten am Zaun, fast 30 Meter entfernt, wieder Boden unter den Füßen." Selbstredend fegte der OFC in der Verlängerung die völlig konsternierten Meppener mit 4:2 vom Platz. Auch wenn es keine Fernsehaufnahmen, noch nicht einmal ein Foto von diesem Treffer gibt, ist auch das legendäre "Arschtor vom Albert" ein Teil der geballten Glorie am Berg, die in jedem Stein des Stadions steckt und bei jedem "Kickers, Kickers"-Ruf über die Höhen Offenbachs hallt. Solche Momente sind es, die den Bieberer Berg zu einem magischen Ort machen.
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