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02.10.2005, 14:34 Uhr
Dirk
TNS Team
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Hallo Freunde der schnellen Rollen, anbei ein sehr treffender Artikel zum BM, vielleicht findet ihr ja am Feiertag die Zeit ihn zu lesen und wirken zu lassen.
Ein Bericht von John Gerhards Quelle: http://www.asphaltjunkie.de/homepage-lc/
Die persönliche Bestzeit - der Weltrekord des Hobbyskaters letzte Änderung: 01.10.2005
Mag sein, dass mein Hirn beim "kleinen" Massensturz doch etwas zu sehr durcheinander gewirbelt wurde, aber in Berlin kann man wohl nur ganz vorne den Erfolg oder ganz hinten seinen Spaß haben. Dazwischen ist pure Hektik, rücksichtslose Aggressivität, technisches Unvermögen und maßlose Selbstüberschätzung. Wer lacht, verliert. Was zählt ist die Bestzeit, dafür rollen wir zur Not auch über Leichen oder mitten rein in sich überschlagende Skatermassen. Ist es da ein Wunder, wenn das Gehirn es vorzieht auszusetzen? Vorne geht die Post ab, hier behindert einen höchstens das Führungsfahrzeug aber keine technisch minderbemittelten Ausdauerfetischisten, die sich in den falschen Startblock gemogelt haben, um sich zum neuen Rekord ziehen zu lassen. Hinten macht man Sightseeing, genießt die Atmosphäre, läßt sich feiern und nutzt die Gelegenheit, mal daher zu skaten, wo man tagsüber im Stau steht. Aber dazwischen ist die Hölle los. Hier im Niemandsland der Ergebnisliste, zwischen den Plätzen 55 und 5555 tobt der unerbittliche Kampf gegen sich und andere. Das Ziel: die Bestzeit. Im Blick: der Tunnel zum Erfolg. Jeder gegen jeden. Inline Rennen und im Stau stehen ist fast das gleiche: Hauptsache, ich erwische die schnellere Spur, die richtige Schlange an der Kasse zum Glück: die angestrebte, heiß ersehnte, seit Jahren verfehlte, diesmal aber unbedingt nötige und endlich fällige neue persönliche Bestzeit, die einen in der internationalen Skaterszene in ein wesentlich besseres Licht rückt und im individuellen Alltag einen lorbeerbekränzten Podestplatz sichert. Das Problem ist nur: alle werden immer schneller, vorne wie hinten und vor allem dazwischen: der Streckenrekord wird gleich dutzendweise geknackt, jedoch: the winner takes it all, es kann nur einen geben, verdient oder nicht spielt früher oder später keine Rolle mehr. Der Rest kann sich auf tausend verschiedene Arten möglichst hoch hinaus rechnen, dennoch heißt das Dilemma: trotz immer besserer Zeiten immer schlechtere Plätze... Wohin führt dieser Wahnsinn? In Berlin kann jeder schnell fahren, auch schneller als ihm lieb ist in Teufels Küche landen oder auf Wolke 42 und dann von oben mit ansehen, wie sich irgendein Lutscher taktisch clever die Prämie für das Knacken der Stundengrenze einstreicht, während alle anderen dafür gemeinsam geschuftet haben. Was hat eigentlich ein Jan Ulrich für eine Bestzeit über welche Distanz bei welchem Wetter in welcher Gegend? Für ihn ist das natürlich nebensächlich, doch für des Skaters Seele hängt das gesamte Glück davon ab, in Berlin die Latte höher legen zu dürfen. Der Kampf ist das Ziel... Dabei ist die einzig aussagefähige Bestzeit beim Speedskating der 300 m Einzelsprint. Bei allen anderen Distanzen sind bereits Taktik und Zusammenarbeit - oder auch gegenseitige Behinderungen - mit im Spiel. Erst recht bei Straßenrennen. Der ganze Bestzeitenhype sollte nach 2 - 3 Rennen vorbei sein, man könnte sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren und besser effektiver schöner leichter eleganter und vor allem sicherer skaten... Persönliche Bestzeiten haben eine äusserst beschränkte Aussagekraft - sie sagen meist mehr über die Person als über deren skatetechnische Fertigkeiten - werden aber in Berlin zum Non plus Ultra, zum Maß aller Dinge, zur Eintrittskarte ins Glück. Ich komme damit ins entspechende Startblockparadies und nicht einmal Erzengel kriegen mich da wieder raus, auch wenn ich mich als lebendes unberechenbares Hindernis für alle anderen entpuppe. Geradeaus klappt es soeben noch, aber wehe es naht eine Kurve: Spur halten - wie geht das denn? Übersetzen, das kann ich doch nur andersrum - irgendwie hat es sonst doch noch immer hingehauen - jetzt haut es dich hin! Aber so richtig... eine Kettenreaktion, die Horrorvorstellung schlechthin, der gefürchtete Dominoeffekt, ein riesiges Knäuel gefallener Skater, keine Chance zum Ausweichen, da nimmt das Bewußtsein doch lieber eine Auszeit und kehrt erst im Rettungswagen zurück, zum Glück! Der Rest der Skater wird über die Gegenfahrbahn am "Schlachtfeld" vorbei geleitet, die letzten Verletzten abtransportiert... Im Ziel bejubelt man sich und andere, Bestzeit geschafft, sogar mit gebrochener Nase, blutüberströmt zwar, aber immerhin: Saisonziel erreicht! Jetzt wird gebechert, gefetet und veranstalterseits zufrieden verkündet: es gab lediglich einen kleinen Massensturz ohne wesentliche Auswirkungen... ...auf das Denkvermögen des Autors? |